Mattierzoll
Yvonne Salzmann

Statement: Mattierzoll

Die deutsche Wiedervereinigung

Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 distanzierte sich die Regierung der DDR zunächst von Überlegungen zu einer deutschen Wiedervereinigung. Die wirtschaftliche und politische Lage in der DDR wurde jedoch zunehmend instabil. Bei der Volkskammerwahl im März 1990 gab die Bevölkerung der DDR ein deutliches Votum für eine Wiedervereinigung Deutschlands ab. Die Bundesrepublik und die DDR unterzeichneten in der Folge zwei Staatsverträge, die die innenpolitische Wiedervereinigung regelten: der Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und der Einigungsvertrag. Die außenpolitischen Aspekte regelte der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“. Mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 trat die deutsche Wiedervereinigung in Kraft.

(Quelle: www.1989.dra.de; Webseite des Deutschen Rundfunkarchivs)

Mattierzoll

In den frühen Morgenstunden des 12. November 1989 schwingt ein Mann mit Mütze und Parker auf westlicher Seite der DDR-Grenze bei Mattierzoll (Landkreis Wolfenbüttel) eine weiße Fahne.

Um 7.58 Uhr ist es soweit: Ein ostdeutscher Bautrupp öffnet nur drei Tage nach dem Mauerfall in Berlin den Metallzaun auch an jenem Grenzabschnitt, der seit Sommer 1953 die Menschen in Ost und West – zunächst durch Stacheldraht, später durch Mienen, Selbstschussanlagen und Zaun – schmerzlich getrennt hatte.

Wie bin ich zu diesem Thema gekommen?

Nach einer spontanen Wanderung im Grenzgebiet Mattierzoll am 3. Oktober 2014, war mir schnell klar, dass ich hier mein Thema für die Ausstellung Das regionale Gedächtnis gefunden hatte. Geschichte hautnah. Vom Museum für Photographie in Braunschweig sind es ca. 30 Kilometer bis zum ehemaligen Grenzübergang Mattierzoll. Ein Katzensprung – einfach Glück gehabt!?

Als ich dort fotografierte, sind mir die Gedanken an Vergangenes plötzlich noch einmal besonders nahe gegangen. Es waren nicht die Reste des Zaunes, nicht der betonschwere ehemalige Wachturm und auch nicht die Überreste der Betongrenzwege. Es passierte, als ich in Veltheim bei Hessen auf der Anhöhe stand und den Blick gen Norden (in den „Westen“) richtete. Ich stellte mir die bewaffneten Grenzbeamten, die Zäune und die Nähe zur Freiheit vor. Da habe ich das erste Mal im Ansatz erahnt, was es bedeutet haben musste, in dieser unmittelbaren Nähe zur Grenze zu leben. Luftlinie gefühlt keine 1000 Meter Entfernung – Freiheit, so nah und doch so fern. Das hat mich sehr berührt.

Und dann habe ich mich gefragt, wie es möglich sein konnte, dass in diesem Land, im 20. Jahrhundert, solche menschenrechtsverletzenden Dinge passieren konnte, dass Menschen erschossen wurden, weil sie aus dem vorhandenen System ausbrechen wollten, dass Misstrauen und Bespitzelungen an der Tagesordnung waren und Fluchtversuche durch Verrat vereitelt wurden. Dass es Erpressungen und Folter gab und Menschen mitunter jahrelang in Gefängnissen einsaßen, nur weil sie andersdenkend waren.

Dass dies alles in dieser Form und in dieser unmittelbaren Nähe möglich war – das empfand ich als absurd. Und mit diesen Gedanken stand ich dort oben am Rübenrand und war sehr betroffen – auch nach dieser langen Zeit.

Biografie

Jahrgang 1965

1985   Abschluss der Fachoberschule Gestaltung
Autodidaktin
2009   Aufnahme in den BBK Braunschweig
2012   Mitglied im Museum für Photographie Braunschweig
Seit 2010 freiberuflich als Fotokünstlerin tätig

Auszeichnungen

2014   Bildungspreis Allianz für die Region -Erhalt eines Sonderpreises im Bereich Jugendliche mit dem Projekt ‚blind date‘
2013   Förderstipendium des Freundeskreis Bildender Künstler Braunschweig ‚being human – Menschsein‘
2011   Preisträgerin Nationaler Förderpreis Jugend und Zukunft der ERGO Stiftung ‚Bewegte Bilder – Bilder bewegen‘ ein Fotokunstprojekt mit Jugendlichen

Ausgewählte Ausstellungen

2015
Gruppenausstellung Museum für Photographie, Braunschweig
Jahresausstellung BBK Braunschweig, raumLABOR
Gruppenausstellung Johannesburg, ‚Young Collectors Galerie‘, Südafrika
Einzelausstellung, ‚Wir sind auch nur Menschen‘ Bildungszentrum Wolfenbüttel, Foto- und Filmdokumentation mit Insassen aus der JVA WF
2014
Gruppenausstellung, ‚Natur und Mensch‘, Rathausscheune, St. Andreasberg
Einzelausstellung/ Wanderausstellung, ‚Zwischenwelten‚ Galerie der Braunschweigische Landessparkasse, Wolfenbüttel
2013
Einzelausstellung, Stipendiatenausstellung ‚being human-Menschsein‘ BBK Torhausgalerie, Braunschweig
Einzelausstellung, ‚Lara‘, Kunstverein Burgwedel – Isernhagenartclub e. v., Alter Park Burgwedel
Einzelausstellung, ‚zero degré‘, Orangerie, Cachan/ Paris, Frankreich