Kommentar von Dr. Sabine Wilp
Und manchmal ist der Fotograf auch Chronist. Etwa bei der umfassenden visuellen Recherche, die Joachim Giesel von 1979 bis kurz vor der Wiedervereinigung 1989 zwischen Lübeck und Hof an der damaligen deutsch-deutschen Grenze durchführte. Eine eindrucksvolle fotografische Serie, auf sieben Doppelseiten im Stern veröffentlicht, die für großes Aufsehen sorgte und inzwischen historischen Wert besitzt. Denn: Die Grenze teilte nicht nur deutsches Land, sondern sie trennte Deutsche von Deutschen, sie war auch gleichzeitig die Schnittlinie zwischen den großen Machtblöcken der Welt. Ein perfektes System von Sicherungsanlagen hatte die Grenze von östlicher Seite aus undurchdringlich gemacht. Auf der westlichen Seite verödeten die früher stark befahrenen Straßen und Eisenbahnlinien, Häuser und Bauernhöfe verfielen, die Abwanderung der jungen Bürger, das sogenannte „Ausdünnen“, brachte schwerwiegende ökonomische und politische Probleme. Die Landschaft nahe dieser Grenze entwickelte sich wieder in einen „Urzustand“ zurück. Mit einer selbstgebauten Großbild-Kamera hat Joachim Giesel im Sinne einer „Spurensicherung“ diese Zustände fotografisch dokumentiert. Er hat dabei nicht nur den Grenzzaun, die verschiedenen Hinweis- und Warnschilder und die Wachtürme fotografiert, sondern auch die landschaftlichen und sozialen Veränderungen festgehalten, die das Erscheinungsbild der grenznahen Regionen prägten. Auf diese Weise sind Fotografien entstanden, die Geschichte und Geschichten erzählen.
Text von der Webseite http://www.gieselphoto.de/ (Stand 10.3.2015)