Wald-Mystik
Helge H. Paulsen

Statement: Wald-Mystik (Harz 2015)

Der Wald ist ein Ort des regionalen Gedächtnisses. Durch Märchen, Legenden und Sagen, die sich regional unterscheiden, lernen wir als Kind den heimatlichen Wald kennen. Er ist ein Wunsch- und Schreckensort zugleich. Die Fotografien zeigen hier einen unnatürlichen Wald, einen phantastischen, einen bunten, einen bedrohlichen. So wie die Geschichten gefärbt sind, die um ihn ranken. Die Phantasie ist das Werkzeug des Waldes, denn seine Mystik entsteht aus dem „nicht genau zu wissen“, aus dem „nicht genau zu erkennenden“. Wer schon mal einen nächtlichen Waldspaziergang gemacht hat, kann dies nachvollziehen. Wir projizieren in dieses Ungewisse unsere Ängste und Geschichten hinein, das lässt den Wald so spannend werden. Hexen, Kobolde und Trolle sind Bewohner des Waldes, weil der Wald früher unbeherrschbar schien und das dunkle Triebhafte in ihm wohnt.

Vielleicht könnten wir es auch nicht ertragen, dass er uns einfach ignoriert. „Die Neutralität der großen Natur (in Berg, Meer, Wald und Wüste) gefällt, aber nur eine kurze Zeit: nachher werden wir ungeduldig: ‚Wollen denn diese Dinge gar nichts zu uns sagen? Sind wir für sie nicht da?’“ [Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, Zweiter Nachtrag: Der Wanderer und sein Schatten]. Deshalb erfinden und erinnern wir uns der Natursagen, weil wir so mit ihm indirekt kommunizieren können.

Der Wald ist auch ein Erholungsort. Nicht umsonst haben die deutschen Romantiker ihn verehrt und zum Mittelpunkt ihrer Kunst gemacht. Er ist der Gegenpol zur industrialisierten Stadt, in der alles funktionieren und befahrbar sein muss. Die Natur, die Berge, die Wälder, die See, all diese haben eine heilende Wirkung auf uns. In Anbetracht ihrer Schönheit verlieren oftmals unsere Probleme ihre Größe. Die Natur ist das Gegenteil von dem Unnatürlichen, also vom Künstlichen. Die Kunst und somit auch die Fotografie ist die künstliche Wiedergabe der Natur, des Objektes. Dies wird in diesen Fotografien durch die künstliche Lichtfarbgebung nochmals unterstrichen. Fotografie ist immer ein subjektiver, künstlicher Abdruck des Gesehenen. Sie ist eine Kunst, die vom Apparat und Benutzer bestimmt wird. Denn so wie wir in den dunklen Wald blicken und uns Geschichten ausmalen, so betrachten wir auch Fotografien.

 

Biografie

Helge H. Paulsen, Studium der Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Kunst & Kultursoziologie an der Universität Hannover, Abschluss Diplom Sozialwissenschaftler [Fachgebiet: Kunst /Kultursoziologie]
2013  Veröffentlichung der Dissertation: Die Position des David Wojnarowicz – Eine kunstsoziologische Verortung der US-Postmoderne
seit 2014 als selbständiger Fotograf, Publizist und Kunstsoziologe tätig
www.artpromotor.com