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„Kulturlandschaften“ – die Sammlung der Braunschweigischen Landschaft e.V.

Einleitung

Auf Anregung der Braunschweigischen Landschaft waren Anfang der neunziger Jahre Fotografinnen und Fotografen eingeladen, Bilder einzureichen, die die Region in ihrer typischen Charakteristik darstellen – mit dem Ziel eine Sammlung anzulegen. Schwerpunkt dieser Sammlung sollten Bilder außerstädtischer Kulturlandschaften sein. Mit dem Aufbau der Sammlung war das Museum für Photographie betraut, in dessen Räumen sie 1991 erstmals gezeigt werden konnte.

Die Sammlung „Kulturlandschaften“ vereinigt 60 Arbeiten wichtiger in der Region lebender Fotografen. Neben Arbeiten von Uwe Brodmann, Jutta Brüdern, Rudolf Flentje, Heinrich Heidersberger, Heinrich Riebesehl, Helfried Strauß, Cem Alexander Sünter, Klaus Wefringhaus, Ommo Wille und Christa Zeißig umfasst die Sammlung historische Quellen wie einige Luftaufnahmen.

Das Konzept „Kulturlandschaften“ thematisiert bewusst die Erkenntnis, dass Natur schon lange nicht mehr in ihrer „ursprünglichen“ Form existiert, sondern sich in der Landschaft seit Jahrhunderten die Spuren agrarwirtschaftlicher und industrieller Veränderungen abbilden. Der Begriff „Kulturlandschaft“ trägt diesen Eingriffen und dem Wechsel gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ordnungen durch den Menschen Rechnung und verweist auf die kulturellen Eigenheiten, die Unverwechselbarkeit und die Einzigartigkeit regionaler Zusammenhänge.

Die Sammlung „Kulturlandschaften“ erinnert so mit künstlerischen Werken und Fotografien als historische Quellen an Typisches, das die Braunschweigische Landschaft als historisch gewachsene Einheit kennzeichnet. Neben den charakteristischen Agrarlandschaften und Ansichten der stahlverarbeitenden Großkonzerne werden Handwerksberufe und Tätigkeitsfelder vorgestellt, die heute, gut 20 Jahre nach der Zusammenstellung der Sammlung, bereits teilweise nicht mehr praktiziert werden.

Innerhalb des Projektes Das regionale Gedächtnis leistet die Sammlung einen wichtigen Beitrag mit der Bewahrung einiger regionaler herausragender Fotoarbeiten und der Darstellung eines Stücks Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Sammlung ist Eigentum der Braunschweigischen Landschaft und wird im Stadtarchiv der Stadt Braunschweig aufbewahrt. Sie steht – auch in Teilen – für Ausstellungen zur Verfügung.

Braunschweigische Landschaft
Januar 2015

Braunschweigische Kohlen-Bergwerke, Helmstedt / Exner-Werth Recycling GmbH, Langelsheim
Klaus Wefringhaus

„Du kannst es machen, wie du willst: Fotos fangen an, Geschichten zu erzählen. Auch wenn keine Menschen da sind!“ (Klaus Wefringhaus in Camera brunsviga: Photographie in Braunschweig – Braunschweig in Fotografien, Braunschweig: Appelhans, 2001.)

Der 1954 in Nordhorn geborene Klaus Wefringhaus studierte zwischen 1974 und 1982 Ingenieurwesen an der Technischen Universität Braunschweig. Bereits während seines Studiums engagierte sich Wefringhaus für die Fotografie und zählte 1984 zu den Gründungsmitgliedern des Museums für Photographie Braunschweig. Bis heute arbeitet er als freier Fotograf in Braunschweig und betreibt ein eigenes Fotostudio. Seine fotografischen Schwerpunkte sind breit gefächert, so ist er heute u. a. in der Werbe-, Portrait-, Industrie- und Architekturfotografie tätig.

Für die Ausstellung „Land-schaf(f)t“ der Braunschweigischen Landschaft e.V. erstellte Wefringhaus 1993 eine Reihe von Fotoreportagen, die sich mit der industriellen Rohstoffgewinnung und der Rückgewinnung von weiterverarbeitungsfähigen Stoffen in der Region beschäftigten. Am Beispiel der Braunschweigischen Kohle-Bergwerke AG in Helmstedt und dem Recyclingunternehmen Exner-Werth in Langelsheim stellt Wefringhaus das in den 1900er-Jahren gegenwärtige Wirtschaftsleben dar und extrahiert in seinen Serien regionaltypische Eigenheiten in Industrie und Handwerk. Er dokumentiert Maschinen und technische Anlagen in ihren Einsatzgebieten und hält so fotografisch fest, wie (sowohl in Helmstedt als auch in Langelsheim) großflächige, künstlich geformte Landschaften durch die Einwirkung der Maschinen entstehen. [kt]

Zuckerfabriken
Cem Alexander Sünter

Cem Alexander Sünter, aufgewachsen in Braunschweig, Ankara und Düsseldorf, begann im Alter von sechs Jahren mit dem Fotografieren. Nach seinem Studium der Philosophie und Romanistik an der Technischen Universität Braunschweig schließt sich ein Studium der Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste ebenfalls in Braunschweig an. Als Lektor für deutsche Sprache, Landeskunde, Literatur und Philosophie war Cem Alexander Sünter an den Universitäten Paris XII und Cergy-Pontoise tätig. An der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig unterrichtete er Ästhetik, Dokumentarfotografie und Geschichte der Fotografie.

Sünter hat sich sowohl theoretisch als auch praktisch intensiv mit der Fotografie auseinandergesetzt. Nach dem Fall der Mauer war für ihn insbesondere die Erkundung des ostdeutschen Raumes interessant. Sünters Fotografien aus der Serie Zuckerfabriken, die 1990 in Andersleben/Bode und Weferlingen in Sachsen-Anhalt entstanden sind, halten einen bestimmten Zeitpunkt der ostdeutschen Industrielandschaft nach der deutschen Wiedervereinigung fest.

Die stillgelegten Industrieanlagen wurden 1991 abgerissen und Wohnsiedlungen, Einkaufszentren und Gewerbegebiete sind stattdessen entstanden. Die Situation, die Sünter noch 1990 vorfand, beschrieb er wie folgt: „Zum ersten Mal gelangte ich im Winter 1990 zur Fabrik nach Weferlingen. Die letzte Rübenkampagne war gefahren. Ein eisiger Wind ging über das karge Land. Hier und da bedeckten Schneereste den feuchten Boden. Obwohl die Fabrik stillgelegt war, – „tot“, wie mir ein Arbeiter sagte – wurde sie weiterhin beheizt. Übrig blieben vereinzelte Arbeiter, nunmehr in Hausmeisterfunktion. Im Inneren des Backsteingebäudes moderten verdreckte Sanitäranlagen in Stille dahin, bisweilen nur unterbrochen durch das Tropfen undichter Wasserhähne. Eingestaubte Kaffeetassen standen in den Sozialräumen auf den Tischen. Es sah nach überhastetem Aufbruch aus, so als habe die Belegschaft ihre Fabrik von einer Minute auf die andere verlassen, während die gewichtigen gusseisernen Maschinen geduldig auf ihr Demontage warteten.“

Der sichtbare Verfall der Zuckerfabriken in Sünters Fotografien steht nur auf den ersten Blick im Vordergrund. Vielmehr geht es Sünter darum, die Spuren einer Zeit aufzuzeigen, wenn auch zeitlich versetzt, die sowohl im Westen als auch im Osten anzutreffen war. In den Fotografien wurde auf eine Ästhetisierung des Verfalls verzichtet und eher die von Leere und Verlassenheit geprägten Orte in den Fokus genommen. [cm]

 

Landleben auf der Burg Esbeck bei Schöningen
Fritz Prötzel

Bei dem Nachlass Prötzel handelt es sich um sechs Aufnahmen des Amateurfotografen Fritz Prötzel (1883-1972), Sohn des ehemaligen Braunschweiger Polizeidirektors und Gutsherren der Burg Esbeck, August Prötzel. Die Originalaufnahmen stammen aus der Zeit zwischen 1900 und 1914. Bei den Fotografien aus der Sammlung der Braunschweigischen Landschaft handelt sich um Reproduktionen, hergestellt von der Fotografin Jutta Brüdern. Das Entstehungsdatum der Reproduktionen ist unbekannt.

Mit dem Braunschweiger Großbürgertum eng verbunden, bildet die Grundbesitzerfamilie Prötzel auf ihrem Gut Esbeck ein typisches Beispiel von Gutsherren aus der Gründerzeit: Die Fähigkeit ein Landgut an die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, hatten sie in der Zeit der kaufmännischen Vergangenheit erworben und unter Beweis gestellt.
Auf der Burg Esbeck bei Schöningen (Braunschweiger Land) hält Prötzel das gesellschaftliche Leben der Gutsherren und die Arbeit der Angestellten vor Ort fest. Die fotografische Dokumentation des Gutsherrensohnes ermöglicht somit einen Einblick in das Tagesgeschehen auf einem Herrensitz der Jahrhundertwende. Zu sehen sind Menschen in ihrer häuslichen Umgebung, bei der Arbeit auf dem Gelände und in ihrer Freizeit. So zeigt Prötzel u. a. Einblicke in die alltägliche Arbeit des Personals in der Küche und auf dem Hof.
Trotz der neutralen Aufnahmesituationen scheint es dem Fotograf nicht um eine „objektive“ Dokumentation der vorgefundenen Situationen zu gehen, sondern vielmehr um die einzelnen Menschen, die in seinen Fotografien im Mittelpunkt stehen und sich u.a. durch ihre Körpersprache und ihre Umgebung ausdrücken.
So nimmt Fritz Prötzel in seiner Serie „Landleben auf der Burg Esbeck bei Schöningen“ Sichtweisen des Alltäglichen auf, in denen das eigene Erleben der Menschen dieser Region zum Ausdruck kommt. [kt]

Luftaufnahmen
Niedersächsisches Landesverwaltungsamt

Die vorliegenden Fotografien stammen von der Niedersächsischen Verwaltung für Landentwicklung (NVL, früher Niedersächsisches Landesverwaltungsamt NLV), einem Teilbereich des Landesamtes für Geoinformationen und Landvermessung Niedersachsen (LGLN) und sind zwischen 1969 und 1988 entstanden. Sie zeigen die Gebiete rund um das VW Werk in Salzgitter, einen Bereich des Großraumes Hannover sowie Peine, Königslutter/Frellstedt und Königslutter/Lelm aus der Vogelperspektive.

Um Aufnahmen aus der Vogelperspektive von Landabschnitten oder Objekten zu machen, wurden verschiedenste Anstrengungen in der Geschichte der Fotografie unternommen. Im Mittelpunkt des Interesses stand seit Ende der 1850er-Jahre die Fotografie aus einem Heißluftballon heraus. Erste Luftbilder machte der französische Fotograf Nadar 1858 von einem Fesselballon aus. Die ältesten bekannten deutschen Luftbilder stammen aus der Mitte der 1880er-Jahre von Hugo Freiherr vom Hagen (1856–1913), Leutnant bei der Berliner Luftschiffer-Abteilung, der aus dem Korb von Fessel- und Freiballons fotografierte.

Die fotografische Aufzeichnung aus der Luft dient einerseits dazu, Einzelaufnahmen von bestimmten Objekten zu machen, und andererseits um systematisch ein größeres Gebiet zu erfassen. Während die Luftbildfotografie anfangs eher im militärischen Bereich angewendet wurde, interessierten sich ab etwa 1920 zunehmend auch Naturwissenschaftler für die neue Technik.

Die 1960er-Jahre, in denen auch einige der vorliegenden Aufnahmen entstanden sind, waren geprägt von den großen Infrastrukturprojekten in der jungen Bundesrepublik. Nicht nur für Autobahnen und Straßen, Eisenbahnen und Wasserwege, sondern auch für Pipelines und Hochspannungsleitungen lieferten Luftaufnahmen und Luftbildmessungen ein Maximum an Informationen und brauchbare Planungsgrundlagen. Seit den 1970er-Jahren gewannen neue Betätigungsfelder immer größere Bedeutung: Umweltschutzthemen rückten sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene in den Vordergrund. So wurden immer häufiger Infrarot-Aufnahmen erstellt, die der Dokumentation von Umweltschäden dienten und für Vegetationsstudien und Umweltverträglichkeitsprüfungen nützlich waren. Gleichzeitig gewannen die Digitalisierung und die elektronische Verarbeitung von Daten eine immer größere Bedeutung.

Noch heute stellt die Luftbildfotografie eine wesentliche Grundlage zur Erstellung von Karten. Auf und mit Geodaten lassen sich Abfragen, Analysen und Auswertungen für unzählige raumbezogene Fragestellungen aus allen Bereichen von Verwaltung, Wirtschaft und Forschung durchführen. [cm]

Mühle Steinlah / Raiffeisen Landmaschinen, Salzgitter
Guntram Jordan

1962 in Peine geboren, lebt und arbeitet Guntram Jordan als Fotojournalist in Wolfenbüttel Salzdahlum. Nach einem Volontariat bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung war Jordan lange Zeit als Fotograf bei der Braunschweiger Zeitung tätig.
In seinen in den 1990er-Jahren entstandenen Fotoreportagen beschäftigt sich Jordan vornehmlich mit der Dokumentation selten gewordener Handwerksberufe. Die Serien „Restauratoren bei der Arbeit“, „Mühle Steinlah in Salzgitter“ und „Raiffeisen Landmaschinen, Reparaturbetrieb, Salzgitter“ sind Beispiele hierfür und entstanden alle im Jahr 1993. Jordan portraitiert die Menschen direkt bei der Arbeit. So stellt er einerseits den arbeitenden Menschen in den Vordergrund seiner Reihen, anderseits offenbart er dem Betrachter zugleich das jeweilige Arbeitsumfeld. Hierbei ist es dem Fotografen besonders wichtig, die Situationen so darzustellen, wie er sie vorfindet; nicht einzugreifen oder zu verändern. Besonderheiten des jeweiligen Berufs kommen in den mehrteiligen Serien klar zu Ausdruck und werden teilweise durch Textinformationen noch verstärkt. [sa]

Auszüge aus dem Werk von Heinrich Heidersberger
Heinrich Heidersberger

Heinrich Heidersberger, vor allem bekannt für seine Architektur- und Industriefotografien, wurde im Juni 1906 in Ingolstadt geboren und wuchs in Linz an der Donau auf. Nachdem er zunächst Architektur in Graz studiert hatte, zog Heidersberger 1928 nach Paris, wo er sich an der privaten Kunstschule Académia Moderne von Fernand Léger einschrieb und sich in den nächsten Jahren der Malerei widmete. Der erste Kontakt mit dem fotografischen Medium ergab sich für Heidersberger, als dieser sich schließlich entschied seine Gemälde und Zeichnungen zu dokumentieren.

Betrieb Heidersberger die Fotografie zunächst nur als Hobby, so entwickelten sich seine fotografischen Arbeiten bis Ende der 1930er-Jahre zu seiner Haupteinnahmequelle; er übernahm zahlreiche Aufträge für verschiedene Agenturen und Verlage in Berlin. Als Heidersberger 1938 aufgrund einer Auftragsarbeit in die Region Braunschweig zog, dauerte es nicht lange, bis er dort als herausragender Fotograf der Architekten der Braunschweiger Schule galt. In den nächsten Jahrzehnten entstanden Bildbände über die Städte Braunschweig und Wolfsburg. 2006 starb Heinrich Heidersberger im Alter von 100 Jahren in Wolfsburg.

Heidersbergers fotografischer Schwerpunkt lag bis zu seinem Lebensende auf der Architekturfotografie, parallel zu dieser entwickelte sich die Industrie- und Werbefotografie zu seinem zweiten Standbein.

In der Sammlung der Braunschweigischen Landschaft befinden sich vier Einzelbilder des Fotografen: Frieden (1972), Kiefernwald (1938), Industrie in Salzgitter (1957), Kasseler Landschaft (1958). In den Arbeiten verweist Heidersberger darauf, dass die Landschaften der Region von menschlicher Arbeit geprägt sind. Er dokumentierte die Abwesenheit der Menschen durch Spuren, die sie hinterlassen haben‚ „Natur“ im ursprünglichen Sinne ist nicht mehr zu sehen. Heidersberger fotografierte die drastischen Eingriffe in die Landschaft und zeigt das Typische der Region, so sind z. B. weite Felder das Ergebnis der Flurbereinigung (Frieden) und die Fabriken der Industrie in Salzgitter ein weiterer fundamentaler Eingriff in die Landschaft. [kt]

 

Archiv Braunschweigisches Landesmuseum / Archiv Jürgen Hodemacher
Fotograf unbekannt

Innerhalb der Sammlung „Kulturlandschaften“ der Braunschweigische Landschaft e. V. befinden sich u.a. Fotografien aus dem Archiv des Braunschweigischen Landesmuseum sowie ein Konvolut an Fotografien aus dem Archiv von Jürgen Hodemacher.

In den historischen Aufnahmen, die zwischen 1910 und 1930 entstanden sind, lassen sich die veränderten Strukturen, die sich im Zuge der Industrialisierung entwickelten, gut nachvollziehen. Sie zeigen, dass Niedersachsen stark durch seine Agrarkultur geprägt war, darüber hinaus aber seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine wichtige Industrieregion darstellte.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts stellten sich in Deutschland – so auch in Braunschweig – die ersten Handwerksbetriebe auf eine maschinelle Fertigung um und leiteten damit das Zeitalter der Industrialisierung ein. Neben wirtschaftlichen Umbrüchen brachte die Industrialisierung auch einen enormen gesellschaftlichen Umschwung mit sich. Bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Herzogtum Braunschweig ein Agrarstaat, die Hauptstadt Braunschweig eine eher beschauliche Residenzstadt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Industrialisierung Braunschweigs besonders im Bereich der Eisen- und Maschinenindustrie so weit fortgeschritten, dass sich aus den ursprünglich handwerklich geprägten Belegschaften eine klassenbewusste, durch die Industriegesellschaft geprägte Arbeiterschaft entwickelte.

Die historischen Fotografien aus dem Archiv von Jürgen Hodemacher zeigen vorwiegend landwirtschaftlich geprägte Tätigkeitsbereiche wie von Holzfällern im Wald oder Landarbeitern auf dem Feld. Als Journalist, Publizist und Verfasser zahlreicher Bücher über die Braunschweiger Geschichte und Stadtentwicklung besitzt der 1938 in der Löwenstadt geborene Jürgen Hodemacher ein umfangreiches Bildarchiv, aus dem er exemplarische Fotografien, die auch durch eigene Aufnahmen ergänzt wurden, für die Sammlung „Kulturlandschaften“ zur Verfügung stellte. Die Aufnahmen aus dem Bestand des Braunschweigischen Landesmuseums hingegen sind Belege für die industrielle Entwicklung in der Region. Beide Archivbestände dokumentieren den Umstand der Veränderung innerhalb der Arbeiterkultur zu Anfang des 20. Jahrhunderts.

Um soziale Verknüpfungen in der Gesellschaft zu analysieren und abzubilden, kann dem Medium Fotografie eine herausragende Stellung zugeschrieben werden. Gerade die Arbeiterfotografie als Teilbereich der sozialdokumentarischen Fotografie rückt hierbei in den Vordergrund. Die Fotografie entwickelte sich zum Vehikel für ein neues Verständnis von Authentizität und diente als Dokument wirklicher Ereignisse. Motive der Arbeitswelt und der Lebensumstände der „arbeitenden Klasse“ finden hier konkreten Ausdruck. Die Aufnahmen aus der Sammlung bezeugen als Dokumentationen angelegt die bestimmten Tätigkeitsformen wie auch das Arbeitsumfeld der in der Region beheimateten Menschen und der in Braunschweig ansässigen Fabriken und Unternehmen. Sie sind aber auch historische Belege für die Tätigkeitsgebiete und die Existenz von Firmen, die es heute nicht mehr gibt oder die nicht mehr zugänglich sind. [cm]

Auszüge aus dem Werk von Rudolf Flentje
Rudolf Flentje

Das Phänomen Zeit ist der Ausgangspunkt für das fotografische Schaffen des für die Braunschweiger Zeitung tätigen Fotojournalisten Rudolf Flentje. In seiner freien künstlerischen Arbeit fokussiert sich der 1951 geborene Autodidakt darauf, die Eindrücke des Augenblickes durch die Fotografie festzuhalten und atmosphärische, subjektive Erinnerungsstücke für die Nachwelt zu schaffen. Im Rahmen der dokumentarischen Fotografie setzt sich Flentje mit den Veränderungsprozessen in der Natur und den Bewegungsmechanismen der Gesellschaft auseinander. In diesem Zusammenhang geht es Flentje um die Dokumentation von Zuständen, die im Vergleich Zusammenhänge erkennen lassen und Veränderungen aufzeigen. Seine Motive findet er dabei eher zufällig. So ist vermutlich auch das Foto „Lucklum“, aufgenommen nahe des Wohnortes des Fotografen in Evessen, eher spontan entstanden. Es zeigt eine idyllische Winterlandschaft, eingebettet in Schnee und Eis. Nichts scheint die Ruhe an diesem Ort zu stören, in welche die vereiste Landschaft eingetaucht ist. Dagegen steht die Fotografie „Schnellstraße Richtung Wolfenbüttel“ im starken Kontrast und hebt die Geschwindigkeit hervor, mit welcher sich die auf der Straße fahrenden Autos und ihre Insassen bewegen. Dem Thema der Entschleunigung begegnet Flentje durch seinen eigenen Rückzug in die Natur. Sein Wohnort, Evessen, liegt an der Elm, etwa 20 km von Braunschweig entfernt. Die tägliche Fahrt nach Braunschweig ermöglicht Abstand und Distanz, die mit der Hektik seines beruflichen Alltags und der Kurzlebigkeit der Pressefotografie kontrastiert. „Da draußen hat das Leben einen anderen Rhythmus, ich denke, auch einen, der den Menschen besser bekommt.“¹ Das „Fliehen“ aus dem städtischen Umfeld hinein in die kraftgebende und ruheschenkende Natur lässt sich auch im Bild „Harzblick“ erahnen. Der Blick wird aus einem sich bewegenden Vehikel auf den Gipfel eines Berges gelenkt. Dennoch können Fotografien nur einen kurzen Moment visuell einfangen, eine Erinnerung an die sinnliche Erfahrung der Landschaft geben, so Rudolf Flentje.² [cm]


¹ Berger, Andreas: Rudolf Flentje in Camera brunsviga: Photographie in Braunschweig – Braunschweig in Fotografien, hg. von aginmar.de, Braunschweig: Appelhans, 2001., S. 75.
² Vgl., S. 75.

Corovin GmbH, Peine / Institut für angewandte Mikroelektronik, Braunschweig
Christian Bierwagen

Der 1966 in Peine geborene Christian Bierwagen machte in den 1980er-Jahren eine Ausbildung zum Mediengestalter und arbeitete zunächst einige Jahre in diesem Beruf, bevor er sich Anfang der 1990er-Jahre dem Fotojournalismus widmete. Über einen Zeitraum von knapp 20 Jahren dokumentierte Bierwagen das gesellschaftliche Leben in Peine, Braunschweig und Umgebung. Es entstanden Aufnahmen für verschiedene Verlage und Nachrichtenagenturen. Seit Mitte der 1900er-Jahre ist Christian Bierwagen zudem in der gewerblichen Fotografie tätig und verlagerte seinen fotografischen Schwerpunkt nach und nach in den Bereich des Fotodesigns. Als freier Fotograf ist er heute in den Bereichen der Industrie-, Werbe- und Portraitfotografie tätig.

Für die Ausstellung „Land-schaf(f)t“ (1993) setzte sich Bierwagen in seinen Arbeiten mit der industriellen Entwicklung neuer Technologien und ihrem Anteil in mittelständischen Unternehmen auseinander. Im Rahmen einer Auftragsarbeit für den Verein Braunschweigische Landschaft e.V. fotografierte er in der Faser- und Vliesstoffproduktion der Corovin GmbH in Peine und dokumentierte dort den Bereich der Verfahrenstechnik. Für den Bereich der Forschungs- und Entwicklungsarbeit innovativer Technologien entstanden darüber hinaus Aufnahmen im Institut für Mikroelektronik in Braunschweig.

In beiden Serien zeigen Bierwagens Fotografien Innenraumaufnahmen der Produktionsstätten und Lagerräume. Der Fokus des Fotografen liegt dabei, ähnlich wie in früheren Arbeiten, auf den arbeitenden Menschen und ihrem Handwerk. Er zeigt die Menschen in ihrem typischen Arbeitsumfeld mit berufsspezifischen Attributen während des Produktionsprozesses und gewährt dem Betrachter somit einen Blick hinter die Kulissen. Neben den einzelnen Tätigkeiten verweisen die Bilder vor allem auf das Arbeitsumfeld der in der Region lebenden Menschen in den 1990er-Jahren und fungieren in der heutigen Betrachtung als fotografische Zeugnisse einer vergangenen Zeit. [kt]